Über demokratische ‚leader’
und was sie uns bedeuten könnten
Stephane Hessel, der 93jährige
Autor des Buches Empört Euch!, sagte kürzlich sinngemäß:
Vielleicht ist es ein Fehler, daß die Bewegung vom 15. Mai,
die Bewegung der sich Empörenden in Spanien, keinen leader hat.
Aber vielleicht ist das ja ihre
Stärke?
Gewiß – die amerikanische
Bürgerrechtsbewegung hatte in Martin Luther King eine Art leader
: einen Menschen von hohem moralischen Ansehen und mit großer
Ausstrahlung. Und den Medien ebenso wie vielen von uns, die durch die Medien
an Stars und andere im Rampenlicht stehende Menschen gewöhnt sind,
gefällt das: diese Fokussierung auf eine „Führerfigur“.
Auch in Indien hatten die, welche
in den 1930er und 40er Jahren gegen das Unrecht aufstanden, eine solche
Figur: Gandhi. Er wurde zu einem Kristallisationspunkt. Wenn auch die schlimmen
Verhältnisse der Grund und die dieser Verhältnisse
überdrüssigen Massen der Dynamo der Bewegung für
die Unabhängigkeit des Landes und seiner Menschen, also gegen die
britische Kolonialherrschaft, waren.
Es genügt oft, einen solchen
Menschen, der zur Leitfigur wird, aus dem Weg zu räumen, und die Protestierenden
werden – so scheint es – kopflos. Ihre Bewegung wird geschwächt.
Oft sogar wird sie entscheidend
geschwächt.
Aber für die Menschen, die
nach neuen Wegen suchen, liegt eine noch größere Gefahr in solchen
„führenden“ Menschen als jene, die sich im Moment ihres plötzlichen
Todes offenbart. Denn während diese „leader“ leben und
aktiv sind, kann es geschehen, daß sie „denken“ für alle, „handeln“
für alle – ob sie es wollen oder nicht. Und alle, für die gedacht
und gehandelt wird, lernen vielleicht nicht – oder nicht genug – , selber
zu denken und gemeinsam zu entscheiden und auf Grund der von ihnen entwickelten
Einsichten, auf Grund ihres aktiven Begreifens der jeweiligen Probleme
und ihrer eigenen Suche nach möglichen Antworten gemeinsam zu handeln.
Sie verlassen sich auf den Anderen,
oder auf andere, die an ihrer statt denken und handeln, Sie lernen nicht,
ihre eigenen Fähigkeiten – was die Erfordernisse des Gemeinwohls,
der Gesellschaft angeht – zu entwickeln.
Ja, es ist vielleicht wahr: Führende
Persönlichkeiten demokratischer, nach Veränderung des Unzureichenden,
des Ungerechten, des Unvernünftigen strebender Bewegungen, wie Gandhi,
wie Martin Luther King, wie Nelson Mandela, eignen sich offenbar hervorragend
als Präsidentschaftskandidaten, als Kanzlerkandidaten. Sie sind gewinnend
in ihrer Art, ziehen Menschen an, erhalten die Aufmerksamkeit der Medien.
Aber vielleicht sind in unseren
Demokratien die Positionen von Kanzlern und Präsidenten nur die Fortschreibung
der alten, autoritären Positionen von Fürsten, von Königen
und Kaisern.
Residierte nicht schon George Washington
fast wie ein „Monarch auf Zeit“ in seinem hochherrschaftlichen, Weissen
Palast?
Vielleicht brauchen wir eine multipolare,
veränderliche, für die Debatten der Unteren und die Ergebnisse
und Entscheidungen solcher Debatten weit offenere „Exekutive“. Das heißt,
eine „ausführende Instanz“, die dem Wortsinn wieder gerecht wird.
Die den debattierenden Volksversammlungen – wirklichen Foren der Bevölkerung
– wieder verantwortlich ist und die daher auch eine transparente,
von den Bürgern kontrollierte Verwaltungs-, nicht aber eine Herrschaftsstruktur
impliziert.
Eine solche Struktur würde
den Job des „Monarchen auf Zeit“, des Kanzlers, des Präsidenten, des
Premierministers überflüssig machen.
Nein, nicht überflüssig.
Schädlich für die Entwicklung der Demokratie, die sich seit 1776,
seit 1789, noch in ihrem ersten – einem allzu autoritären –
Stadium befindet.
Wo aber (wie im gegenwärtigen
Zwei-Parteien-System) Wahlen dienen zur Legitimation der alten, beinah
monarchischen Machtkonzentration bei einem Staatschef und seinen Beratern,
wo Politik elementar und entscheidend verbunden ist mit all den offenen
und verborgenen „Spielchen“ eines Kampfs um die Macht, da nimmt nicht allein
die Volkssouveränität Schaden.
Und das, weil diese sich ersetzt
findet durch eine Parteienherrschaft – mithin eine Herrschaft der
Wenigen, innerhalb einer jeden der beiden jeweils auf Zeit an der
Macht befindlichen Parteien. Die aber auch in der Opposition noch
ihre Macht- und Einflusspositionen über viele Legislaturperioden hinweg
beständig auszubauen gelernt haben.
Nein, in solchen auf Machterwerb
und –erhalt fokussierten Politik-Kontexten leidet nicht allein die behauptete
Souveränität einer Bevölkerung, die in Wahrheit zum Untertan,
zum Gegenstand der Politik der von ihr in Wahlen auf den Schild Gehobenen
wird.
Es leidet auch die Vernunft, das
heißt, die sich von Vorurteilen befreiende Suche nach vernünftigen
Antworten auf die nach Lösung verlangenden Probleme der Menschen und
ihrer Umwelt.
Und es leidet die Wahrheit, die
von der Sprache der Verführung und der Rechtfertigung zugemüllt
wird. Wir sehen und hören es täglich in den Medien. Und das einem
solchen Maße, das vielen Hören und Sehen vergeht.
Check...:http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
Check: http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
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