Karen Wittstock

Post-demokratische Verhältnisse? Radikaldemokratische Basisdemokratie? Wohin geht die Reise in Europa?

Die Demokratie  in Europa ist ein historisches Resultat langwieriger, schwieriger, manchmal ausgesprochen verlustreicher, zweifellos auch von Rückschlägen und Niederlagen begleiteter Kämpfe. Sie ist keineswegs selbstverständlich. Sie kann verspielt werden. Sie kann liquidiert werden. Sie kann sich langsam und unmerklich verflüchtigen, gleichsam in Luft auflösen. Was dann besteht, muß kein Faschismus sein wie seinerzeit in Nazi-Deutschland, keine Militärdiktatur wie in Chile. Manche sprechen von einer anderen Gefahr: von post-demokratischen (also „nach-demokratischen“, zwar nicht diktatorisch, aber auch nicht länger demokratisch zu nennenden) Verhältnissen. Einer politischen Realität, welche die Bevölkerungen um ihre Rechte und ihre demokratischen Wirkungsmöglichkeiten bringt.

Wie weit, bis zu welchem Grad ist eine solche postdemokratische Verhältnisse etablierende Aushöhlung der Demokratie längst im Gang? Leben wir vielleicht sogar schon in einer Post-Demokratie?

Nach zwei Weltkriegen war und ist in den Bevölkerungen Europas der Wunsch nach Überwindung des Trennenden lebendig. In West- wie in Osteuropa haben die jeweils herrschenden Machteliten eine Konsolidierung ihres Machtbereichs betrieben. Wie COMECON und Warschauer Pakt bedeuteten EWG und NATO eine partielle, noch dazu fremdbestimmte Einheit. Aber es war immerhin ein Schritt der Bevölkerungen verschiedener Länder aufeinander zu: wenn auch im zu engen Rahmen.

Das Ende des Kalten Krieges erweiterte den Rahmen, und Menschen in vielen Ländern hofften und hoffen, das aus dem fremdbestimmten Projekt der Einheit ein selbstbestimmtes, freies, offenes Projekt wird. Viele, vor allem junge Menschen, aber auch manche ältere hoffen zugleich, daß Europa keine Festung wird, daß es sich nicht abschottet, daß es seine Fähigkeiten, zu helfen, wo Hilfe nötig ist, nicht verkümmern lässt, sondern entwickelt. Und daß es seine Fähigkeit, auf Eigennutz bedacht zu sein und so seine noch immer nicht gering zu schätzende Stärke zu missbrauchen, kritisch in den Blick bekommt, im Interesse einer Wende.

Das Projekt EU war von Anfang an majorisiert von politischen Kräften, welche die Wirtschaftskraft ihres Herkunftslands, seinen Vorteil und das hieß vor allem, den Vorteil seiner Wirtschaftseliten über alles stellten. Ganz im Sinne der Theorie, daß für die vielen ein wenig abfällt vom gedeckten Tisch, wenn es den wenigen äußerst gut geht, hat man – nicht erst seit den Jahren des Thatcherismus und des Aufkommens der seither, Schritt für Schritt, in Europa etablierten Hegemonie neoliberaler Interessenverwalter – , während man stets partikuläre Interessen privilegierte, die Bevölkerungen allenfalls diskursiv und d.h., auf dem Wege der erfolgreichen Produktion öffentlicher Meinung „mitgenommen“. Aber man hat ihnen zugleich die Stimme und das Gewicht, das ihnen als demokratisches Geburtsrecht zukommt, verweigert. 

Die Massen Europas dürfen zwar ein europäisches Parlament wählen. Aber dieses Parlament hat die armseligen Rechte einer Versammlung von Vertretern des Dritten Standes in vordemokratischer Zeit. Es sind die Lobbyisten, die Vertreter der Wirtschaft, die in Brüssel bei der Kommission sich direkt zu Wort melden, oder aber ihre nationalen Regierungen zu Interventionen bei der Kommission veranlassen. Das Europäische Parlament ist zu schwach, zu machtlos, als das es vorrangiges Ziel der Versuche der Wirtschaft werden könnte, Einfluß auf die Politik zu nehmen, soweit sie auf EU-Ebene gestaltet wird.

Die Rolle und das Gewicht des Europäischen Parlaments erinnert in der Tat an die Unterordnung von „Parlamenten“ im  seinerzeit von den Kritikern in ihren Polemiken als „feudal“ abgestempelten  Absolutismus Frankreichs. Und so ist es – denkt man etwa an die Diskussion und die Entscheidungen bezüglich REACH, bei der sich die europäische Chemieindustrie über Vorbehalte von Chemiebeschäftigten, Konsumenten und Umweltschützern hinwegsetzen konnte, oder an die Rolle der Kommission, der Zentralbank und des IWF in der derzeitigen Bankenkrise –  unverkennbar, daß Kritiker mit einem gewissen Recht von einem „Feudalismus“ der (Finanz- und sonstigen,  oft ganz und gar nicht in finanz- oder industriekapitalistische Unternehmungen auseinanderdividierbaren) Konzerne sprechen, der in den politischen Machtzentren auf EU-Ebene sich wirksam zur Geltung bringe und hier seinen politischen Ausdruck finde.

Was bedeutet das für die Demokratie in Europa?

Seit langem ist anhand vieler Einzelfälle zu belegen, daß die Europäische Kommission – im Verein mit einem den  Namen angesichts seiner beschnittenen Vollmachten kaum verdienenden EU-Parlament –  die Befugnisse und letztlich die Souveränität nationaler Parlamente aushebelt. Und dies in der Regel zum Nutzen der auf EU-Ebene besonders durchsetzungsfähigen Konzerne, die sowohl als Nutznießer wie Anstifter der Lissabon Agenda zu sehen sind. Einer Agenda des Sozialabbaus, des Abbaus von Arbeitnehmerechten und von de facto Errungenschaften der Arbeitnehmer und in Rente gegangenen früheren Arbeitnehmern wie von jungen, noch der Erwerbstätigkeit entgegensehenden Menschen in Europa. Letztendlich wird, europäisch koordiniert, wenn auch angesichts unterschiedlicher Durchsetzungsbedingungen nicht zeitgleich, versucht, dieselben sozial- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen – zum Nutzen der Konzerne und zum Schaden der großen Mehrheit – EU-weit durchzusetzen. Das geht von der sogenannten „Flexibilisierung“ eines angeblich „verkrusteten“ (d.h., den Beschäftigten „zu viele“ soziale Schutzrechte gewährenden) Arbeitsmarkts über die Erhöhung des Renteneintrittsalters und den Abbau sozialer Sicherungssysteme, die Reduzierung der Unternehmenssteuer und der Einkommenssteuer der Bezieher hoher Einkommen bei gleichzeitiger Erhöhung der die Masse der Bevölkerung besonders belastenden direkten Steuern bis zum „streamlining“ der Hochschulausbildung zum Schaden der Möglichkeiten kritischer Reflexion in der Universität. Gleichzeitig besteht man auf EU-Ebene auf einer skandalös zu nennenden Privatisierung öffentlichen Eigentums, also gesamtgesellschaftlich belangreicher, von der Öffentlichkeit geschaffener und genutzter Werte, die zu fragwürdigen Bedingungen veräußert und zu noch fragwürdigeren Bedingungen zurückgeleast, z.T. aber auch zu Schleuderpreisen an private Investoren zum privaten Betrieb übereignet werden. Die Beispiele, von den Berliner Wasserwerken bis zu den derzeit laufenden Privatisierungen in Portugal, Italien, Griechenland, Spanien usw. sind zahlreich. Der Druck, der in den letztgenannten Fällen (vor allem in Spanien und Griechenland) durch die Europäische Kommission (im Verein mit dem IWF und der Europäischen Zentralbank) auf die nationale Exekutive und das nationale Parlament ausgeübt wurde, verdient es, als Ausdruck der Arroganz der Macht, wenn nicht, in seiner Konsequenz, als Enteignung nationaler Souveränität, also  letztendlich als Übergehung des eigentlichen demokratischen Souveräns, der Bevölkerung der betroffenen Länder, bezeichnet zu werden. Solange das Europäische Parlament nicht auf der Basis „one (wo)man, one vote“ von allen Bürgern der EU gewählt und zugleich mit vollen Rechten eines Parlaments ausgestattet ist, einschließlich des Rechts, jene europäischen Gesetze zu verabschieden, die heute als europäische Verordnungen mit (nationale Gesetze aushebelnder Wirkungskraft) von der Kommission ausgehen, ist jeder verordnende Eingriff der Kommission, einschließlich der jüngsten Interventionen in Griechenland und Spanien, die alle Merkmale eines Diktats aufweisen, nicht demokratisch legitimiert. Er ist Ausdruck „absolutistisch“ wenn nicht  „feudaler“ zu nennender und dabei klientelistisch geprägter Herrschaft einer bürokratischen Elite, welche sich mit mächtigen Wirtschaftsinteressen verbündet hat und diese effektiv vertritt. Es ist offensichtlich, daß erstens Verordnungen eines bürokratischen Apparats, die Gesetzeskraft beanspruchen und nationale Parlamente zur „Umsetzung“ VERPFLICHTEN (!) – ob sie nun von einem machtlosen „Europäischen Parlament“ (das bis heute ohne das Recht besteht, als einzige derart legitimierte Instanz europäische Gesetze einzubringen, zu debattieren und zu beschließen) abgesegnet sind oder nicht –   in einer demokratischen Gesellschaft nur als Ausdruck der Entdemokratisierung, der Enteignung des eigentlichen demokratischen Souveräns (welcher doch immerhin kein anderer als le peuple, il populo, el pueblo, the people, demos, mithin die Bevölkerung ist) angesehen werden müssen. Zweitens ist offensichtlich, daß in real- oder radikaldemokratischer (wenn nicht  basisdemokratischer) Abwandlung des dem Ursprung nach mittelalterlich feudalistischen, heute von der katholischen Soziallehre hochgehaltenen Prinzips der „Subsidiarität bei gleichzeitiger Solidarität“ die Dezentralisierung, die Kritik des zentralistisch-bürokratischen Staatsapparats wie auch die Forderung, daß die Menschen vor Ort – in der Stadt, in der Region, im Mitgliedsstaat der europäischen Union –  sich artikulieren und ihre vor allem sie betreffenden und somit auch angehenden Dinge weitgehend autonom entscheiden können sollten, ein unverzichtbarer Bestandteil jedes ernstzunehmenden demokratischen Programms ist. Es versteht sich von selbst, daß dies keine Rechtfertigung partikulärer (lokaler oder regionaler oder nationaler) Egoismen sein darf.

In einer vom Markt beherrschten gesellschaftlichen Wirklichkeit ist interregionaler Ausgleich zwischen den Regionen mit starkem ökonomischen Wachstums und den Regionen, die von einer solchen Entwicklung nicht oder nur kaum erfasst sind, eine Frage fairen Zusammenlebens. Die Egoismen der Lega Nord Anhänger, welche Transfer-Leistungen an die Regionen des Mezzogiorno ablehnen ebenso wie die der industriell vergleichsweise weit entwickelten Regionen im Norden des alten Jugoslawien, die zum Auseinanderbrechen (oder –gebrochenwerden) dieses Bundesstaats führten, weil Transfers an den Süden abgelehnt wurden, sind in einem vereinten Europa unverantwortlich und destruktiv. Dies zeigt sich neuerdings wieder im Fall der deutschen Position gegenüber Griechenland und Spanien.

Wenn hier, an einigen signifikanten Beispielen festgemacht, post-demokratische Tendenzen der EU, auf EU-Ebene vor allem repräsentiert durch die Kommission, kritisiert werden, so heißt das nicht, daß derartige Tendenzen in den Nationalstaaten nicht existieren. Am Beispiel Deutschlands lässt sich eine Entwicklung aufzeigen, die anderswo in der EU kaum weniger greift, und die auch in den USA – wo in den letzten beiden Jahrzehnten die executive order des Präsidenten an Bedeutung gewonnen hat – zu beobachten ist: Die politische Macht in diesen sich in Richtung auf post-demokratische Verhältnisse bewegenden Demokratien hat sich verschoben. Die Exekutive hat gegenüber der Legislative enorm gewonnen; ihre Einschränkungen und Diktate erfährt diese Exekutive heute vor allem von „der Wirtschaft“. Die Legislative wird zumindest in Europa immer mehr zu einem Parlament, das man in polemischer Übertreibung fast „rubber stamp parliament“ nennen könnte: ein Begriff, der im Kalten Krieg für die Parlamente in den sogenannten Volksdemokratien verwandt wurde, weil Abgeordnete nur abnickten, was die politische Führung als Gesetzesvorlage einbrachte. Heute bemängeln Parlamentarier und ehemalige Parlamentarier in Deutschland, ja sogar ehemalige Minister (wie Gerhard Baum) den Schwund an freiem Entscheidungsspielraum und die weitgehend zur Fiktion gewordener Gewissensfreiheit der Abgeordneten. Gesetzesprojekte werden in Ministerien z.T. von Vertretern der Privatwirtschaft ausgearbeitet (vorgeblich, weil die „mehr Kompetenz“ haben). Gesetzesvorlagen kommen praktisch nur aus Ministerien, also von der Exekutive, statt aus den Reihen der Abgeordneten. Gesetzesvorlagen, die z.T. mehrere hundert Seiten umfassen, werden Abgeordneten nicht selten 1-2 Tage, manchmal nur Stunden, bevor sie zur Abstimmung kommen, zur Kenntnisnahme vorgelegt. Das, was man in den USA den „whip“ oder Einpeitscher nennt, obliegt in Deutschland den Fraktionsvorsitzenden und darüber hinaus einer kleinen, informell oder formell als leading figures, Führungspersonal der Partei, zu bezeichnenden Gruppe von Personen, die sich primär durch Kooptation erweitert und „erneuert“, auch wenn formale Führungspositionen (Parteiämter) auf Parteitagen – de facto durch Akklamation – bestätigt werden müssen. Letzteres meist problemlos, oft ohne Gegenkandidat, was manchen vielleicht ein wenig an die „realsozialistische“ Realität erinnert, aber durchaus autoritäre und paternalistische bürgerliche Vorbilder weit älteren Datums hat, die in den europäischen Gesellschaften und bis zu einem gewissen Grade auch in Nordamerika nie an Wirkkraft verloren (selbst wenn in Nordamerika, zumal in den USA, die innerparteiliche Konkurrenz um Ämter die Machtstellung parteiinterner Eliten und ihre Kontrolle über die „normalen Abgeordneten“ nicht so unangefochten erscheinen lässt wie in Deutschland). Die rigorose Brutalität, mit der – in der Frage der sogenannten Erweiterung des sogenannten Euro-Rettungsschirms – der derzeitige Kanzleramtsminister der Merkel-Regierung einen prominenten Abweichler in den Reihen der CDU-Abgeordneten auf Linie zu bringen suchte, verdeutlicht, warum die übergroße Mehrzahl der Abgeordneten spurt. Auch der widerspenstige CDU-Abgeordnete, dem der Kanzleramtsminister eröffnete, er könne seine Gegenargumente gegen die Erweiterung „nicht mehr hören“ und „seine Fresse nicht mehr sehn“, hat begriffen. Er hat ausgesprochen, daß er gedenkt, sich aus der Politik zurückzuziehen. Nahezu JEDER Abgeordnete nahezu jeder Partei in Deutschland weiß heute, daß er nicht mehr als Kandidat aufgestellt wird oder zumindest keinen aussichtsreichen Listenplatz mehr bekommt, wenn er sich nicht der Parteiführung und ihrer jeweiligen „Linie“ unterordnet. Parteiinterne Demokratie existiert zwar formal. In der Praxis – also de facto – existiert sie aber oft nur als Farce. Dort, wo es darauf ankommt, wo es nach Meinung der Parteiführung und ihrer (meist wohl von ersteren protegierten), auf Parteikarrieren setzenden Verbündeten um wichtige Entscheidungen geht, erscheint innerparteiliche Demokratie immer als ein auf eine  eingespielte, disziplinierte Show reduzierter Vorgang. Das gilt für die CDU und CSU, es gilt für die SPD, und es gilt (trotz einiger linksliberaler, längst ausmanövrierter interner Kritiker) für die FDP, wie das Abservieren des rechtslastigen Möllemann zeigte, der sich der Unterstützung durch die Parteibasis gewiß war, aber die Bedeutung dieses Faktums über- und die faktische Macht der Strippenzieher in der Partei unterschätzte. Was die Partei Bündnis 90 / Die Grünen angeht, die einmal mit basisdemokratischen Zielen liebäugelte, so hat seinerzeit bereits das westdeutsche Parteiengesetz einen Riegel vor eine konsequente radikaldemokratische Praxis  geschoben. Die Arbeit im Parlament, die Erfahrung, wie schön es ist, hohe Diäten zu kassieren und nach zwei Legislaturperioden Pensionsansprüche zu erwerben, brachten die Zustimmung zur „realpolitischen Wende“, welche das Führungsteam um Joschka Fischer betrieb. Für die Ablehnung des rot-grünen Kriegskurses, der Blüten wie die Verbreitung des Märchens eines „Hufeisenplans“ durch Scharping und Joschka Fischer trieb, revanchierte sich die Partei (und das heißt, Außenminister Fischer?) im Fall von Ströbele mit dem Entzug des Listenplatzes. Ströbele, nach wie vor basisdemokratisch orientiert, zog dennoch, über ein Direktmandat, wieder in den Bundestag ein. Vielleicht ist es gar nicht übertrieben, zu sagen: Er ist einer der wenigen Abgeordneten der fünf in Westdeutschland (bzw. ab 1989/90 in Gesamtdeutschland) nach dem Zweiten Weltkrieg auf Bundesebene mitregierenden Parteien CDU, CSU, SPD, FDP und GRÜNE, dem man ein hohes Maß an Unabhängigkeit als Abgeordneter ehrlichen Herzens abnehmen kann. Ansonsten scheinen Karriere-Erwägungen und  verinnerlichte oder auch ganz bewusst akzeptierter Parteidisziplin vorherrschend bei der Ausübung des „Wählerauftrags“ als Abgeordneter zu sein. Vermutlich spielt das auch in der Linken bereits (oder immer noch?) eine gewisse Rolle, wiewohl hier die lebendig und  z.T. recht kontrovers geführte Debatte die Mehrheit der Journalisten in Deutschland immer wieder von Chaos, Streit, Uneinigkeit sprechen lässt. Dies im Wissen, daß der autoritär geprägte Teil der Bevölkerung solche „Uneinigkeit“ (das Fehlen einer „richtigen“ und verbindlichen „Linie“, verordnet von einer nachgerade paternalistischen Parteiführung“) nicht goutiert. Streitkultur und lebendige Diskussion sind zwar auch in den um die Formung der öffentlichen Meinung ringenden, dominanten Medien bekannte Floskeln: die entsprechende Praxis brachte aber schon den Grünen in ihrer frühen Phase das Etikett ein, ein chaotischer Haufen zu sein. Demnächst wird diese Denunziation vielleicht die Piratenpartei treffen. Heute aber geht es immer wieder der mit viel Häme bedachten Linken so, der man einerseits das Fehlen innerparteilicher Demokratie in der verblichenen SED vorhält und andererseits das Zuviel an innerparteilicher Demokratie, das – trotz allem offensichtlichen innerparteilichen Strippenziehen – einer ganzen Reihe von Meinungen und Tendenzen einen erstaunlichen, in den großen Parteien so nicht nachweisbaren Freiraum belässt. Aktuell ist bemerkenswert, daß – nach den großen, auch die Forderung nach mehr direkter Demokratie ins Spiel bringenden Demonstrationen in Stuttgart – inzwischen ein Sender wie der Westdeutsche Rundfunk (der in den 70er Jahren von der CDU/CSU noch als Rotfunk diffamiert wurde, ungeachtet der Breite des Spektrums der Positionen, die damals zu Wort kamen) fast schon tendenziös darüber debattieren lässt, ob die Redefreiheit im Internet nicht eingeschränkt gehört, während man in einer zweiten, kurz darauf folgenden Sendung die dazu passende, weitere Frage „Haben wir zuviel Demokratie?“ aufwirft. Offenbar wird, nachdem hier Stefane Hessel zu Wort kam, von der  zumindest CDU-nahen Intendantin Monika Piel kräftig gegengesteuert. Und dies in einem Moment, in dem den etablierten Parteien zum ersten Mal seit langem radikaldemokratischer Gegenwind angesichts der über Banken und Politik und vieles mehr Empörten ins Gesicht weht.

Bleibt die Frage, ob die neuen Ansätze zu einer Revitalisierung der Demokratie und zur Abwehr post-demokratischer Tendenzen im Moment lediglich von letztlich radikaldemokratischen, das heißt, die Demokratie ernst nehmenden, dezentralen Massenbewegungen kommen. Oder ob die eher hierarchisch (top-down) strukturierten Gewerkschaften – wie z.T. in den USA – die Zeichen der Zeit erkennen, was bedeuten könnte, daß sie die Bewegungen der Unteren nicht im Stich lassen, daß sie diese unterstützen. Und vielleicht ergreift ein solches Begehren ja sogar die Basis in den großen und kleinen Parteien: jene Parteimitglieder, etwa bei der SPD und den Grünen, die endlich dafür SORGEN müssten, daß vermeintliche Partei-„Eliten“, die wie die SPD-Führung und die Führung der Grünen unter Schröder den Sozialabbau und die Umsetzung der neoliberalen Lissabon Agenda betrieben, abgelöst werden und die eigene Partei intern demokratisiert wird. Auch bei den Linken ist da noch einiges zu verbessern. Ein stärkeres Vertreten der Positionen der Basis – etwa in Berlin und vor allem in Brandenburg, wo große Teile der Bevölkerung z.B. gegen die CO-Speicherung sind – ist gefragt; nicht „pragmatisches“ Taktieren und Festhalten an Koalitionen um jeden Preis. Etwas, das ja auch den Grünen anzuraten ist, gerade auch angesichts ihrer nicht sehr lang zurückliegenden Koalition mit der CDU in Hamburg, bei der sie – um der Teilhabe an der vermeintlichen Macht und vielleicht auch um der damit verbundenen Einkommen willen – auf das Geltendmachen essentieller Forderungen der Basis (AKWs und Elbvertiefung betreffend) verzichteten. Hier zeigt sich, was schon die Praxis der sozialdemokratischen Fraktion im Reichstag des 1871 gegründeten Kaiserreichs zeigte: die Routine der parlamentarischen Arbeit und vielleicht auch die materielle Lage der Parlamentarier macht die gewählten Abgeordneten leicht zur Speerspitze einer Politik fauler Kompromisse; dies situierte im Kaiserreich die Mehrheit der sozialdemokratischen Fraktion eindeutig rechts von der Parteibasis. Und wie war es kürzlich,  bei den Linken in Berlin, die aus Rücksicht auf den Koalitionspartner kein Interesse an allzu gründlich betriebener Aufklärung der Berliner Skandale der Vergangenheit zeigten? Und was trieb die grünen Abgeordneten an, die im Saarland für das Bündnis mit der CDU votierten? Ist nicht der übergroße Teil  jener Wähler in der deutschen Bevölkerung, die in den letzten Jahren entweder SPD wählten oder Grüne oder Linke, für einen Wandel, für eine Abkehr vom neoliberalen Kurs?  Zu solchen Erwartungen der eigenen Wähler passt das kleinliche Hickhack zwischen diesen Parteien nicht gut. Dazu passt nicht, daß die grüne Spitzenkandidatin in Berlin, Künast, mit ihrer Parole „Rot-rot ablösen“ vor allem Wowereit attackierte statt die CDU; dazu passt nicht, daß Trittin für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl ein schwarz-grünes Bündnis nicht ausschließen will. Man macht eine von der Parteienkonkurrenz und vom Willen zur Teilhabe an der Macht diktierte Politik, und ignoriert großzügig, was die eigenen Wähler mehrheitlich wünschen. Auch das Abbügeln der Grünen durch Wowereit nach der Berliner Wahl gehört hier hin, als kleinliche, vom Partei-Egoismus, nämlich Egoismus der Führungsequipen diktierte Politik. In NRW brüskieren SPD und Grüne auf unverantwortliche Weise die Linke, auf deren Zustimmung, etwa zum Haushalt, sie angewiesen sind. Will man zurück in die Vergangenheit? Schon einmal zog die SPD eine Große Koalition einer - übrigens von der Mehrheit der Wähler favorisierten! –  Allianz aus SPD, Grünen und Linken vor. Klar ist längst: für Schröder, Steinbrück, Steinmeyer und Co. ging es um ein Festhalten an der Lissaboner Agenda, um die Verhinderung jenes Richtungswechsels, den man den eigenen Wählern im Wahlkampf unehrlicherweise versprochen hatte. Aber wie sagte dann einer aus dem SPD-Führungsteam? „Sie dürfen mich nicht auf das festnageln, was ich im Wahlkampf gesagt habe.“ Und dann wundert sich die Schar der Journalisten und ein Teil der politischen Klasse, daß die Bevölkerung Politikern nicht mehr vertraut.

Aber seien wir mindestens vorsichtig von der Möglichkeit überzeugt, daß das Anwachsen von Basisbewegungen, ja von Massenbewegungen, die mehr Demokratie, eine Abkehr vom neoliberalen Kurs und ein Bedenken der Effekte umweltzerstörerischer Praktiken der „Wirtschaft“ verlangen, in den sich einst als „links“ und zum Teil als „basisnah“ verstehenden Parteien ein Umdenken, wenn nicht eine „Revolte“ auslösen kann. Seien wir hoffnungsvoll, daß auch die Piratenpartei ein bisschen beitragen kann zum notwendigen demokratischen Aufbruch.

Was die CDU und CSU angeht, so kann man in waghalsigem Optimismus nur alle Hoffnung setzen in jene engagierten Katholiken, die Impulse der Bewegung „Kirche von unten“, oder von Pax Christi, oder der Befreiungstheologie aufnehmen und weitergeben. Manche womöglich geleitet von dem verständlichen Wunsch, daß so auch eines Tages in diesen beiden „Schwester“-Parteien ein frischer, radikaldemokratischer Wind wehen kann. Es wäre eine gute Entwicklung, wenn von basisnahen,  den partikulären Interessen der „Wirtschaft“ nicht unumstößlich verpflichteten Teilen dieser beiden sich nach wie vor christlich nennenden Parteien die realen Nöte und Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung zur Kenntnis genommen würden. Einer Mehrheit übrigens, die in zunehmendem Maße im Begriff ist, ihre eigene Stimme zu finden. 

Eben das, dieses Lernen der Vielen, sich zu Gehör zu bringen, macht ja Demokratie im eigentlichen Sinne aus. Und es reduziert die Macht politischer Eliten, und den Monopolismus (oder Oligopolismus) von gewählten Repräsentanten und eingesetzten Bürokratien. Vielleicht, ja vielleicht, werden sie so wieder zu dem, was sie dem demokratischen Ideal nach sein sollten: zu Dienern des Volkes, statt seinen Herren und seinen Vormündern.
 
 
 
 
 

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