Harry Oertel

SOZIALE REVOLUTION UND SEHNSUCHT NACH SELBSTBESTIMMTEM LEBEN
EINE VORLÄUFIGE REFLEXION ÜBER GESCHEITERTE EMANZIPATIONS-VERSUCHE UND NEUE PERSPEKTIVEN

Es ist wohl wahr, man kann auf verschiedene Weisen von der Sehnsucht nach Befreiung von unwürdigen und unvernünftigen Zuständen sprechen.
Kürzlich sprach eine von den vielfältig denkbaren Wegen zum Kommunismus. Und das, was die Welt in dieser Beziehung bisher sah, erste tastende Versuche waren.
Sie erntete in den herrschenden Medien und von Seiten im Rampenlicht stehender konservativer Politiker, aber auch mancher ihrer Kollegen in der SPD und bei den Grünen heftige Vorwürfe. Auch Opfer des Stalinismus und die, welche ihnen nahe stehen, reagierten empört.
Was die Sozialdemokraten unter den Kritikern angeht – jedenfalls, soweit sie nicht zu den Verfechtern eines Neoliberalismus gehören, der jedes Anknüpfen an sozialdemokratische Traditionen vermissen lässt - 
so verwundert die Reaktion ein wenig. Berufen sich nicht auch Sozialdemokraten gern auf Rosa Luxemburg, eine Kommunistin, und führen ihren Satz, Freiheit sei vor allem die Freiheit der Anderen, gern im Mund?

Es ist aber andererseits unleugbar, dass der Kommunismus – und zwar nicht erst seit 1989, sondern eher schon seit mindestens Ende der 40er Jahre –  vor allem in den Ländern des „Westens“, einen äußerst schlechten Ruf hat. 

Um 1948 kehrten viele ehemalige Kommunisten sowie als Kommunisten verdächtigte und häufig als fellow travelers bezeichnete Intellektuelle im „Westen“ dem Kommunismus oder dem, was sie dafür hielten, den Rücken. Das war nicht nur eine Folge des McCarthyismus in den USA und des damit ausgeübten sozialpsychologisch äußerst spürbaren Drucks. Die Notwendigkeit, gegen Hitler zusammenzustehen und Russland einzubeziehen, bestand nicht mehr. Der einsetzende „Kalte Krieg“ führte zu Verhärtungen auf beiden Seiten. Eine Anzahl von Linken, die das „russische Experiment“ im „Westen“ bisher verteidigt hatten, öffneten die Augen vor dem bislang Verdrängten, den ins Bewusstsein eindringenden Indizien des  stalinistischen Terrors, den auch die herrschenden Medien in den westlichen Ländern jetzt zu dokumentieren oder besser, ideologisch auszuschlachten suchten.. Gleichzeitig führte im Machtbereich der Sowjetunion –  wie unter anderen die Slansky-Prozesse (in der DDR dann das Vorgehen gegen Ernst Bloch, Harich und andere, in Polen die antisemitische Welle) zeigten – die sich verschärfende Konfrontation zwischen den Machtblöcken zu einer erneuten Welle der angeblich die konterrevolutionären Elemente treffenden Repression. Dies verlieh zweifellos dem in den Medien des „Westens“ kursierenden Hetero-Image des Stalinismus oder „kommunistischen“ Terrors große Evidenz. Die Totalitarismus-Hypothese, von Hannah Arendt, Popper und anderen verbreitet, setzte Faschismus und Stalinismus (und letztlich Faschismus und Kommunismus) gleich.

War die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für eine kleine Zahl weit links stehender Menschen im „Westen“ ein Moment des Wachwerdens kritischer Impulse vis-a-vis der Sowjetunion, so hatten Andere schon früher reagiert. Und zwar hatten, darin gleichsam als Erben der von reaktionären Handlangern der Scheidemänner und Noskes in der deutschen Novemberrevolution ermordeten Rosa Luxemburg erscheinend,  vor allem Linkssozialisten und libertäre Anarchisten wie Pannekoek – sei es seit Anfang der 20er Jahre, sei es seit den Moskauer Prozessen –  die erste Vorhut der späteren Stalinismus-kritischen Entwicklung gebildet. Vor allem französische, in die Sowjetunion eingeladene und enttäuscht zurückkehrende Schriftsteller, auch surrealistische Dichter, schlossen sich dieser Tendenz an. 

Ein letzter Schub, in dieser Hinsicht, das heißt im Sinne einer Abkehr von einer wirklichen oder vermeintlichen Illusion und einer bedeutenden Revision einer früheren politischen Position, erfolgte ziemlich genau zwanzig Jahre vor dem Zusammenbruch des Ostblocks. Es war dies eine Folge der Intervention von Truppen des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei im Sommer1968.

Für die Neue Linke im „Westen“ allerdings hatten alle diese Ereignisse, die enttäuschte Unterstützer der Sowjetunion tief traf und der Gefahr aussetzte, entweder typische Renegaten, verbitterte Pessimisten, Misanthropen,  oder scharfzüngige, wie „freischwebend“ und politisch fast heimatlos sich vorkommende Essayisten zu werden, kaum eine tiefgehende Auswirkung, nämlich tief im Sinne einer tiefen Desillusionierung. Diese „Neue Linke“ war von Anfang an sowohl Auswirkung der Desillusionierungserfahrung gewisser „alter“, müde gewordener Linker, für die bisherige Ideale fragwürdig geworden waren, und gleichzeitig Antwort auf die Desillusionierung der Enttäuschten und auf das, was sie enttäuschte. 

Die „Neue Linke“ war in gewisser Hinsicht eine Kopfgeburt; sie war theorielastig, denn sie war die Antwort von westlichen Intellektuellen, denen in der Regel nahezu jede organische Verbindung mit der Arbeiterklasse fehlte, auf das, was sie als die Schwächen des „realen Sozialismus“, wenn nicht als Verbrechen des Stalinismus, zu erkennen und kritisieren zu müssen glaubten. Zugleich war sie eine kritische Antwort auf die Verbrechen des bürgerlich und kapitalistisch geprägten Weltsystems, auf die Kolonialkriege in Algerien und den portugiesischen Kolonien, auf den skandalösen Krieg, den die USA und ihre engsten Verbündeten gegen das vietnamesische Volk führten, auf die Zuflucht, die der ach so „demokratische Westen“ unter tatkräftiger Mitwirkung seiner Diplomaten und Geheimdienste in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in Indonesien, Griechenland, Chile, Brasilien, Uruguay, Argentinien und der Türkei zu den terroristischen Institutionen und Methoden mörderischer Diktaturen nahm. (In Franco-Spanien, im salazaristischen Portugal, in Iran und vielen anderen Ländern bestand eine Komplizenschaft mit Diktaturen ohnehin.) 

Wenn die Bezugs-„Gruppe“ im Sinne einer sozialen Basis der „Neuen Linken“ im „Westen“ nicht die Arbeiterklasse war, so hatte sie – außer in Teilen der Intelligenz – nur eine nennenswerte Verankerung: in den Reihen der fortschrittlichen Studierenden.

Es war die Praxisferne der „Neuen Linken“, welche diese an den Rändern erodieren ließ. Maoistische, anarcho-maoistische, trotzkistische und anarcho-spontaneistische Studentengruppen versuchten, die Theorie praktisch werden zu lassen, verteilten Flugblätter und Zeitungen vor Fabriktoren, suchten Streiks der Arbeiterinnen und Arbeiter zu unterstützen; manche gingen selbst in die Fabrik und bildeten dort Zellen, die agitierten. Aktivisten aus Betriebsgruppen gelang es in Westdeutschland in einigen Konzernen, namentlich der Automobilbranche, auf oppositionellen innergewerkschaftlichen Listen zu kandidieren und als engagierte Sprecher der Arbeiter ihrer Werkabteilungen das aufzubrechen oder ins Wanken zu bringen, was als oft komplizenhaftes Hand-in-Hand-Arbeiten gewisser Betriebsräte mit der Geschäftsleitung den Kollegen längst ein Dorn im Auge war. Diese oppositionellen Betriebsräte verbreiteten zwar nicht, wie sie anfänglich hoffen mochten, ein „revolutionäres Bewusstsein“, aber sie leisteten vielfach eine gute, auch das Bewusstsein über innerkapitalistische Widersprüche schärfende Arbeit.  Die Ungeduldigsten und Entschiedensten, der ins Anarcho-Lager Abdriftenden –  in der Mehrheit wohl durch die Schule neu-linker Theorie gegangenen „Neo-Kommunisten“ in einigen westlichen Ländern wie, neben den USA, vor allem Deutschland, Italien, und Frankreich –  gingen über zu dem, was sie als revolutionären Kampf verstanden. Die Versuche, die Stadtguerilla-Strategie aus Lateinamerika (wo sie übrigens auch an der Repression scheiterte) in die USA und nach Westeuropa zu übertragen, zeugte allerdings – wie vielen Alt- und Neu-Linken damals schon klar war – von einer völligen Fehleinschätzung der historischen Situation, der Kräfteverhältnisse, und damit auch der Revolutions-Bereitschaft einer sich in den 60er und 70er Jahren (mindestens in Teilen) noch als relativ saturiert sehenden, das heißt,  im Weltmaßstab  damals vergleichsweise gut dastehenden Arbeiterklasse.

Die konventionell in den dominanten Medien als „orthodox“  bezeichneten Kommunistischen Parteien in Westeuropa, vor allem in Italien und Frankreich, hatten ein weitaus realistischeres Bewusstsein von der „Arbeiterklasse“ und ihrer Revolutionsbereitschaft als die praxisorientierten Gruppen am Rande der „Neuen Linken“. Man hat ihnen seitens der „Neuen Linken“ oft vorgeworfen, daß sie – vor allem die PCF – die revolutionäre Chance, die im Mai 1968 bestanden habe, verraten hätten. Man kann darüber streiten, in welchem Ausmaß diese Chance real bestand. Jedenfalls waren diese Parteien, im Hinblick auf ihre tatsächliche gesellschaftspolitische Rolle in Italien und Frankreich zwischen 1945 und ca. 1970 radikaldemokratische und zugleich reformistische Kräfte.

In Westdeutschland, Österreich, Holland nahm der – aus Gründen des Kalten Krieges und weil die Repräsentanten der Kapitalinteressen die Notwendigkeit erkannten, neben einem äußeren Feind nicht auch noch einen inneren Feind, eine kämpferische Arbeiterklasse, zu haben –  zwischen 1950 und 1990 unvermeidlich gewordene Klassenkompromiss, den auch die Sozialdemokratie dieser Länder wünschte, eine korporatistische Form an: formalisierte, legalisierte, institutionalisierte Konflikt- und Interessen-Vermittlungsformen und Inszenierungen von angeblicher Mitbestimmung der Arbeiter im Betrieb wurden gefunden, von denen nicht nur das Kapital und die institutionellen Repräsentanten der Arbeiterklasse in SPD bzw. SPÖ sowie, in den Niederlanden, der Partei der Arbeit und natürlich in den sozialdemokratisch dominierten Einheitsgewerkschaften profitierten. Sondern auch für Lohn arbeitende Menschen, vor allem männliche Facharbeiter und diese vor allem in florierenden Großbetrieben. 

Während der Marshall-Plan (eine Konsequenz der Notwendigkeit des westlichen „Weltsystems“, entlang dem „Eisernen Vorhang“ glänzende Schaufenster in Westdeutschland, Süd-Korea; Taiwan und Japan zu etablieren) und dann die gestärkte exportwirtschaftliche Rolle zumal Westdeutschlands die Möglichkeiten der „sozialpartnerschaftlichen“ Strategie vergrößerte, nicht nur eine diskursive, also ideologische Wirkung zu entfalten, sondern auch tatsächlich den Lebensstandard der Arbeiterklasse nach US-amerikanischem Vorbild zu erhöhen (ohne allerdings die Entfremdung der Arbeits- und Lebenssituation und die Gesundheitsgefahren im Betrieb aufheben zu können), garantierten die rechtlichen Rahmenbedingungen bis Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre die weitgehende Pazifierung (oder pacification) der ausgebeuteten und politisch stillgestellten Klasse. 

Für Frankreich und Italien bedeutete die Rolle der KPs in der résistance (bzw, resistenza) ein politisches Prestige, das sie als demokratische Faktoren in ihren Gesellschaften legitimierte. Die bürgerlichen Kräfte haben allerdings (wie in Spanien nach dem Sturz Francos) schnell verstanden, die Kommunistischen Parteien von der politischen Teilhabe an Regierungsverantwortung auszuschließen.

Frankreich und Italien hatten nach dem Krieg nicht, wie vor allem Westdeutschland, von großzügigen Aufbauhilfen des Marshall-Plans profitiert; die Rekonstruktion war schwieriger; das, was die bürgerlichen Kräfte unter „Verteilungsspielräumen“ verstehen, war geringer. Und die Nicht-Integration, also der schnell kommende de-facto Ausschluß aus Regierungsverantwortung und aus der Menge der „koalitionsfähigen“ Parteien, von der die KPs (und  letztlich auch die  diesen Parteien nahestehenden Gewerkschaften) betroffen waren,  garantierte in der Folge, ganz im Sinne einer Gegenfinalität (contre-finalité), dass die Klassenkämpfe hier härter waren. Und das Bewusstsein über gesamtgesellschaftliche Antagonismen in den benachteiligten sozialen Klassen (mithin in der Arbeiterklasse, die Industriearbeiterschaft, kleine Angestellte und Beamte umfasst, sowie in der marginalisierten, um das Existenzminimum ringenden petite bourgeoisie der kleinen Ladenbesitzer, Kneipiers, Zeitungskiosk-Pächter, aber auch bei den Kleinbauern und Landarbeitern) wacher. Es ist dies sowohl die Folge der gemachten gesellschaftlichen Erfahrungen (also ein Reflex des gelebten Lebens und der Reflexion darüber) wie ein Verdienst der nach dem Krieg in dieser Hinsicht entscheidenden gesellschaftskritischen Kräfte in Italien und Frankreich, der Kommunistischen Parteien und der ihnen nahestehenden Intellektuellen, vor allem aber der in großen Auflagen erscheinenden linken Presse und der linken Verlage, der engagierten Theater, usw. 

Die radikaldemokratische und reformistische Rolle von PCF und PCI stand allerdings im Widerspruch zu einer partiell immer noch revolutionär klingenden Rhetorik. Und sie stand im Widerspruch zur offiziösen Loyalität gegenüber der UdSSR, der DDR, usw. sowie anfänglich auch gegenüber China, der übrigens lange Zeit in Frankreich, Italien, auch in Griechenland, Portugal und Spanien, eine spontane, manche mögen sagen, nostalgische emotionale Nähe vieler sich als klassenbewusst verstehender Arbeiter zu einer idealisierten Sowjetunion entsprach. 

Eine radikaldemokratische Praxis, wie sie in diesen laizistischen Nachkriegs-Demokratien, die sich auf die résistance und die „Selbstbefreiung“ vom Faschismus als ihre „Gründungsurkunde“ beriefen, bei jeder tatsächlichen und konkreten Parteinahme für diejenigen, welche Gramsci in den Gefängnisheften chiffriert als die „subalternen Klassen“ bezeichnet, unvermeidlich war,  passte allerdings schlecht zur weitgehend fehlenden innerparteilichen Demokratie. Was diesen Parteien – neben ihrem Bekenntnis zur Solidarität mit den „realsozialistischen“ Ländern –  den Vorwurf einbrachte, stalinistisch zu sein. Ein absurder Vorwurf, insofern in diesen Ländern in der Phase der  résistance bzw. resistenza nur bewusstes, freigewähltes Engagement der kämpfenden Genossinnen und Genossen wirksam werden konnte (man kann einen Genossen, unter der Herrschaft des Faschismus, nicht stalinistisch durch Terror zum Kampf „zwingen“) und insofern in der Realität der bürgerlichen Demokratie jeder Versuch, Genossen einem stalinistischen Terror zu unterwerfen, schon daran gescheitert wäre, das dem bedrohten Genossen freistand zu sagen: Leckt mich am Arsch, ich „kündige“. Stalinismus, das ist die Lehre der Geschichte, lässt sich nur unter den Bedingungen der monolithischen und monopolistischen Inbesitznahme der Macht im Staat durch eine Partei oder Clique innerhalb einer Partei durchsetzen. Und die in der Tat weitgehend fehlende innerparteiliche Demokratie in PCI und PCF nach 1945 war, so bedauerlich und falsch sie war, nicht gravierender als das, was sich in bürgerlichen „demokratischen Parteien“ abspielte und bis heute abspielt, wo auch Strippen gezogen werden, Parteifürsten konkurrieren, in Hinterzimmern das Entscheidende beschlossen wird, während nicht die Basis „die Oben“ de facto auswählt, sondern „die Oben“ die, die sie brauchen, kooptieren. Und das heißt, dass sie aus dem Nachwuchs die Passenden, Willigen, Loyalen, kurz „Parteisoldaten“ auswählen und für Posten vorschlagen. Die Struktur der KPs in Frankreich und Italien unterschied sich von diesen intern wenig demokratischen bürgerlichen Parteien im wesentlichen dadurch, dass sie auch formal die Struktur des demokratischen Zentralismus wählten, welche die anderen Parteien lediglich  informell praktizierten und praktizieren. Demokratischer Zentralismus aber hieß und heißt in der Praxis leider: Von oben nach unten wird geschaltet und gewaltet; das Feedback von unten braucht man oben, um „die unten“ auf Linie zu bringen („das verstehst du noch nicht richtig, Genosse“ – oder wie man heute in den bürgerlichen Parteien sagt, „es ist ein Vermittlungsproblem...“).

Das Dilemma der sich kommunistisch nennenden reformistischen Linken in Italien beginnt nach 1968 oder 1970, als sie sich bemüht, ihre damals erfolgreiche positive Reformstrategie auf lokaler Ebene (Bologna, Genua, Venedig, usw.) und regionaler Ebene durch Beteiligung an der Staatsmacht und Stärkung ihres Einflusses auf die nationale Gesetzgebung abzusichern. Das Bemühen um den „historischen Kompromiss“, das Zugehen auf eventuelle Bündnispartner (gab es linkskatholische Kräfte in der DC, müssen wir fragen, und wie groß, wenn es sie gab, war ihr Gewicht?) entfremdete die linke und zum Teil neu-linke kritische studierende Jugend, innerhalb und außerhalb der Partei. Die Partei wurde autoritärer gegenüber dieser Jugend und den mit ihnen bald verbündeten, jungen kritischen Industriearbeiter, die in der Zeit um und nach ’68 allesamt auf eine Radikalisierung der Partei und ihres Widerstands gegen die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse drängten. Während die Parteistrategen in jedem radikalen „image“ bereits eine Verschlechterung der Chancen sehen mussten, zu einem als in der jetzigen Etappe notwendig geglaubten „compromesso storico“ zu kommen.

In Frankreich gelang der PCF der Schritt zur formalen und sektoriell (in den ihr zustehenden Ministerien) auch realen Beteiligung an der politischen Macht im Staat während der ersten Präsidentschaft Mitterrands, als tatsächlich – auch dank der funktionierenden Einheit des Linksbündnisses aus PS und PCF – reformistische Erfolge zugunsten der arbeitenden Menschen erzielt wurden, in einem Umfang, wie seither nicht mehr. Doch das Kapital, oder besser die Praxis der Kapitalisten, zeigte schnell die Grenzen eines solchen Reformismus auf. Nicht nur Arbeiter können streiken; das Kapital kann „sich zurückziehen“, es kann Investitionen im Inland „zurückhalten“, es kann stattdessen vermehrt nach Kapitalanlage-Möglichkeiten im Ausland suchen: Es kann eine fortschrittliche reformistische Regierung unter Druck setzen, „erpressen“: es kann versuchen, sie in die Knie zu zwingen. 

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Sozialdemokratie große Wahlerfolge bei Reichstagswahlen zu verzeichnen hatte, als die „Fraktion,“  also die Gruppe der im Reichstag sitzenden sozialdemokratischen Abgeordneten jede Äußerung revolutionärer, d.h. das gesellschaftliche Modell des Kapitalismus offen infragestellender Absichten als Gefährdung ansah, weil es die Staatsmacht dazu bewegen konnte, eine bei jeder Wahl mehr Stimmen als zuvor gewinnende Partei zu verbieten, gab es eine interessante innerparteiliche Debatte, in der die intelligenteste Sozialdemokraten, namentlich Karl Kautsky und Friedrich Engels, für eine Dialektik von Reform und Revolution plädierten. Wobei, für Kautsky mindestens, Revolution Überwindung des Kapitalverhältnisses, und damit des Privateigentums an den Produktionsmitteln, mithin deren Sozialisierung oder gesellschaftliche demokratische Kontrolle bedeutete – und zwar, wenn möglich, auf friedlichem demokratischen Wege. Immer aber: als Ausdruck des politischen Willens der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung und wenigstens insofern, wenn schon die Spielregeln des damals herrschenden Rechts und der Reichsverfassung nicht einzuhalten waren, zwar nicht unbedingt formal, aber im Sinne einer materiellen Logik demokratisch. 

Die PCI hat in Italien, verbal sich stärker an Lenin und vor allem an Gramsci als an Kautsky orientierend, in den 70er Jahren den Gedanken an eine Dialektik von Reform und Revolution aufgegriffen. 

„Revolutionär“ an der reformistischen Politik in Bologna war, dass es dank der errungenen politischen Macht in der Stadt und in der Region möglich wurde, eine Stadtsanierung durchzuführen, die damals nicht zur Gentrifizierung und somit zur Verdrängung der ursprünglichen Mieter führte. Die kapitalistische „Logik“ des Marktes wurde politisch ausgehebelt, außer Kraft gesetzt. Man tat, de facto und kompetent, das, was heute alternative Linke verbal fordern: reclaim the city. Aber, wie gesagt, man ahnte wohl schon, dass nationale Gesetze zur Absicherung der Erfolge geändert werden mussten, was nicht gelang. Denn vor allem das US-amerikanische Interesse an Heraushaltung der PCI aus der Regierungsverantwortung war zu groß. Letztlich stellt sich, im Nachhinein, und stellte sich damals schon einigen Linken außerhalb wie innerhalb der PCI und in geringerem Umfang der PCF die Frage, ob nicht ein einstweiliges Fernbleiben aus der Regierungsverantwortung und eine Strategie der Unterstützung und Stärkung der außerparlamentarischen Arbeiterkämpfe das Bewusstsein für gesellschaftliche Ungerechtigkeit und mangelnde demokratische Beteiligung des Volks geschärft und letztlich auch die Möglichkeit eines Wahlsiegs oder einer Übernahme der politischen Macht durch die auf der Straße demonstrierende Bevölkerungsmehrheit in greifbare Nähe gerückt hätte. Ob also statt des „Maßhaltens“ und der Suche nach realen Bundesgenossen, die es nicht gab, eine Politik der entschiedenen Unterstützung sozialer Kämpfe und sozialer Bewegungen die bessere Alternative gewesen wäre, ohne darum darauf zu verzichten, Spielräume auf dem parlamentarischen Parkett zu nutzen.

Die Entscheidung für eine Linie des vermeintlich „verantwortlichen“, sogenannte Sachzwänge kapitalistischer Machart respektierenden politischen Handelns, auf die sich Mitterrand mit Beginn seiner zweiten Präsidentschaft einließ, wurde in Frankreich zur die Linke – sowohl PS wie PCF – über kurz oder lang demontierenden Politik. Vorgemacht hatte das die deutsche Sozialdemokratie bereits im Kaiserreich, und hier am besten zwischen 1910 und 1918.  Als „Verantwortung“ für den Staat und damit das behauptete „Ganze“ oder „Gemeinwohl“ übernehmen, hieß, die breite Bevölkerungsmehrheit und ihr humanes Interesse an Frieden, an Verbesserung der Lebensverhältnisse, an mehr Gerechtigkeit und mehr tatsächlicher Partizipation an gesellschaftlich bedeutungsvollen Entscheidungen zu verraten. Die PCF hat sich während der zweiten Präsidentschaft Mitterrands nicht entschieden gegen die falsche, „wirtschaftsfreundliche“ Politik der Parti socialiste gewehrt und auch nicht versucht, Gegenwehr von unten – wo sie versucht wurde – energisch zu unterstützen. 

Dasselbe gilt, im wesentlichen, für die PCI. Ihr Ringen um Anerkennung durch die bürgerlichen Parteien, um „Respektabilität“ machte sie zahm und im falschen Sinne konstruktiv, also „staatstragend“. In den 80er Jahren schrieb, nicht zu Unrecht, der Filmmacher Jean-Marie Straub, aus Italien: „Die PCI hat inzwischen alles verraten – außer: die Bourgeoisie.“ Daran war, aus einem gewissem Blickwinkel betrachtet, viel wahres. 

Die Entscheidung seither für die Demokratisierung der eigenen Strukturen ist jedenfalls,  in dem Maße, in dem sie versucht wurde (aber wurde das? – oder wurde nur eine Version der bürgerlichen Parteien-Normalität hergestellt, unter Aufgabe von Floskeln wie „demokratischer Zentralismus“ und „ZK“ oder „Politbüro“?) eine im Prinzip, nämlich insofern sie die Richtung hin zu einer wirklichen innerparteilichen Entscheidungsmacht der Basis angibt, richtige und somit wichtig. Der Pluralismus innerhalb der Linken und die freie, offene Debatte ist wichtig. Die Aufgabe des alten Namens und seine Ersetzung durch den einen, dann den anderen Begriff (heute: Linksdemokraten) schien wohl vielen nachvollziehbar und plausibel. Den ganzen „Kalten Krieg“ hindurch war „Kommunismus“ ein mit Stalinismus gleichgesetzter Kampfbegriff der Rechten. Die ideologische Offensive, die in den bürgerlichen Medien mit dem Kollaps des „Ostblocks“ einherging, hatte auch Auswirkungen innerhalb der Arbeiterklasse, also auch unter den eigenen Wählern. Hätte man zwischen 1950 und 1990 weniger apologetisch sich um formale Loyalität mit dem autoritären, post-stalinistischen Realsoz unter Chruschtschow, Breschnew usw. bemüht, sondern offen und offensiv für eine befreite, nicht-kapitalistische, antiautoritäre Gesellschaft der Freien und Gleichen überall in der Welt argumentiert, ohne darum – bei aller Kritik an den negativen Seiten der UdSSR und der anderen COMECON-Länder –  die Ansätze von Fortschrittlichem in diesem Realsoz aus dem Blick zu verlieren, dann hätte man 1989/90 selbstbewusst sagen können: während ihr Bürgerlichen mit dem Ostblock Handel triebt und dabei verdientet und diplomatische Höflichkeiten austauschtet, haben wir die Verhältnisse dort kritisch betrachtet und nichts verschleiert. Niemand unter den Wählern und Aktivisten der PCI hätte Illusionen begraben müssen. Und man hätte am eigenen Projekt eines italienischen Wegs zu einer freieren, solidarischen Gesellschaft festhalten können. Tatsächlich ist der Weg der PCI ab 1943, 44, 45 der vom bewaffneten Kampf gegen den Faschismus über den radikaldemokratisch militanten Reformismus zu einem zahmen, „verantwortungsvollen“ Reformismus und zur Koalition mit bürgerlichen Liberalen wie Prodi gewesen, wodurch man sich auf einen Kurs der austerity, des Sozialabbaus und letzlich der neoliberalen „Reformen“ begab, der die Linke nur weiter diskreditieren kann, so wie er in Frankreich  die PS, in Deutschland – spätestens seit Schröders Hartz IV „Reformen“ – die SPD bei großen Teilen ihrer (sie in Scharen verlassenden) Wähler diskreditierte. 

Es ist fraglich, ob es richtig war, dass die demokratische Linke ihre auf Emanzipation der Menschen, also Freiheit und damit Selbst-Befreiung gerichteten Vorstellungen von Sozialismus und Kommunismus (soweit sie schon oder wieder Gestalt angenommen hatten, also – in Abwendung von allem Autoritären – zu Marxschen Positionen zurückkehrten) diskursiv nicht bekräftigte, sondern nach 1989 in Italien, aber auch z.B. in Deutschland und Spanien, in einen Diskurs auswich, der den Demokratiebegriff in den Vordergrund rückt. 

Für die politischen Gegner in Italien wie auch für viele Kommentatoren im Ausland sind die italienischen Linksdemokraten nach wie vor, im polemischsten und diffamierendsten Sinne, „die Kommunisten“: Wenn man also geglaubt hat, durch die Änderung des Parteinamens Wähler „in der Mitte“ zu gewinnen, so hat man sich allen Anscheins nach getäuscht. Und auch die Rechte wird nicht weniger bissig und polemisch sein, wenn es darum geht, die Linksdemokraten zu denunzieren.

Ist es aber ebenso fraglich, ob sich die Suche nach Koalitionspartnern, unabhängig davon, ob sich mit ihnen progressive, den Menschen in ihrer großen Mehrheit nützende Ziele verfolgen und entsprechende Gesetze verabschieden lassen, ausgezahlt hat? Ich vermute, es ist nicht fraglich. Es ist klar, dass solche Allianzen, deren Worte und Taten die Mehrheit der linken Wähler bitter enttäuschten, sich nicht „auszahlen“. Sie sind kontraproduktiv. 
 
 
 
 

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Wall Street to Occupy Everywhere"
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under Pinochet, and against the underfinanced public education system
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