Jochen Jakobsen

Vom Gemeinwohl, dem schöpferischen Potential der Menschen, und ihrer Verantwortung für das Lebendige

Wer war das, den ich reden hörte, neulich, von der Sehnsucht, „nach einem Ort, wo jedem alles gehört und niemandem etwas“?

Die Zeit ist reif, die Ähren sind voll und das Korn am Herausfallen. Oder ist es die lange Trockenheit, sein Durst, der das Korn herausfallen lässt?

Da war der, der sprach von dem alten – er sagte auch, christlichen – Begriff von Gemeinwohl, der besagte,  so hörten wir, „daß die Menschen einander unterstützen“. 
Nicht nur bei der Arbeit. Oder in der Not. Sondern auch darin, „ihre Talente zu entfalten.“(1)

Was so getan wird, ist gegenseitige Hilfe. Gegenseitige Hilfe setzt Gleichheit der sich Helfenden voraus.(2) Wie die Gabe, das Geschenk – dem Marcel Mauss seine Aufmerksamkeit widmete, konstituiert sie ein soziales Band.(3)

Gegenseitige Hilfe ist ein ebenso alter Begriff wie der des Gemeinwohls. Schon im alten China galt, unter den Reisbauern, welche auf Bewässerungsanlagen angewiesen waren: women bangju yiqi – wir helfen einander, wechselseitig. Schon im Irak, in Ägypten, am Indus praktizierten die Bauern das.(4) 

Da war der, der sprach von dem Potential an Schöpferkraft in uns. Überall – nicht nur im Buch der Hebräer, in der Bibel – finden wir Schöpfungsmythen. Sie lehren die Menschen, was Schöpfung ist, was schöpfen: Ein kreativer Akt, ein Akt der Freiheit.

Man transzendiert sich selbst. Verändert sich und die Welt rund herum.

In welche Richtung? Das ist offen. Das produktive Potential der gesellschaftlich betriebenen Industrialisierung hat die Welt an den Rand einer Klimakatastrophe gebracht.

Die Menschen sind verantwortlich –  gemeinsam – für das, was sie tun, für ihr schöpferisches Potential. Und sie können Fehlentwicklungen nur gemeinsam, bewusst, Einhalt gebieten.

Der, der das versteht, weiß er, daß die Veränderung, die not tut, eine ist, die einher gehen muß mit dem Bewußtsein der Verantwortung  - für einander? Und zugleich: für sich selbst. Für das eigene Tun.

„Echte Konservative“ – sagte kürzlich wieder ein anderer – seien jene, „die die Zukunft des Menschen“, aber in eins damit auch die Biodiversität, „die ökologische Zukunft des Planeten schützen wollen.“
Und die daher „weder die Macht noch den Besitz fetischisieren.“(5)

Ich höre es. Ich denke nach. Ich frage mich, ob es reicht, das Gute zu denken. Es zu sagen, zu wünschen, zu wollen. Muß man nicht auch – fehlbar wie man zweifellos ist – beginnen, zu handeln?
 
 

Anmerkungen

(1) Das Zitat entstammt einem im WDR 5 gesendeten Gespräch mit dem Philosophen  Walter Schweidler.

(2) Ebenda

(3) Marcel Mauss, Essai sur le don: forme et raison de l'échange dans les sociétés archaïques; préface de Florence Weber. Paris (P.U.F.) 2007 [Texte extrait de : "L'Année sociologique", seconde série, 1924-1925, tome I]

(4) Vgl. u.a. K.A. Wittvogel, der die Kollektivität der hydraulischen Infrastruktur-Arbeiten herausarbeitete, allerdings zugleich den Akzent auf damit in Verbindung gebrachte „despotische“ Tendenzen legt. (Karl August Wittvogel, Oriental Despotism: a comparative study of total power. New Haven  (Yale Univ. Press)  7th printing, 1970).  –  Zumindest in China existierten zentrale Staatsgewalt (gespiegelt in der konfuzianistischen Staatsphilosophie) und die lokale, selbst geregelte, also autonome Kooperation der direkten Produzenten (gespiegelt in einem bisweilen anarchistische Züge aufweisenden Taoismus sowie durch den eklektischen Volks-Buddhismus) neben einander, als zwei – vor allem durch das Steuersystem, durch Gerichte, und durch „Aushebungen“ für Feldzüge an der Grenze – zwar in Kontakt stehende, aber verschiedene Welten. (Vgl. dazu auch: Joachim Schickel, „Wu cheng-fu oder Anarchismus in China, in: Kursbuch, 1969, S. 151 – 162)

(5) Hans Conrad Zander, im WDR 5.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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