J. Weidenfels und Joan Chen 
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In Japan erleben die Menschen eine nukleare Katastrophe, welche die von Tschernobyl übertreffen wird.

Heute erfahren wir, daß die Atombehörde in Japan jahrzehntelang Berichte über die Sicherheit der Kraftwerke gefälscht hat.

Und während die Katastrophe ihren Lauf nimmt, läßt die japanische Regierung die Wahrheit scheibchenweise ans Licht kommen. Dort, wo es sich nicht mehr vermeiden läßt. Darum, weil die Bevölkerung längst mehr weiß oder ahnt.

Auch bei uns, auch in Westeuropa, auch in den USA, hat man immer verheimlicht und verharmlost, heruntergespielt, hat schöngeredet. Die Atomkraftwerke waren nie sicher, die Technologie nie beherrschbar. Man hat – seitens der Wirtschaft und der Politik – immer „auf Risiko“ gespielt. Man ist eine Wette eingegangen, daß es schon gut gehen wird und hatte NOTFALLPLÄNE in der Schublade, falls es zu einem „Tschernobyl“ kommt: GAU, „größter anzunehmender Unfall“ war und ist ihr bürokratischer Begriff dafür. Sie rechnen damit, ohne zu wissen, was es ist und wie groß dieser „Unfall“ werden kann. In ihren Szenarios sind wir – die Bevölkerung – nur Statisten; gerad’ so wie in den Planspielen der Militärs und politischen „Führer“, die einen Nuklearkrieg nie ausgeschlossen, derartige Überlegungen nie in den Schredder geschmissen haben. 

Es ist wahr: sie halten uns, die Kritiker einer inhumanen, menschenverachtenden Weise, Menschen und ihr Leben als DISPONIBEL, als Manövriermasse der Wirtschafts- und Militärpolitik zu sehen, für unrealistisch, für weltfremde Idealisten.
Aber in welcher paranoiden, welcher bar jeder ethischen Verantwortung sich solchen Strategien öffnenden „Welt“ leben diese Meister über Leben und Tod? Und letztlich auch ihre Berater, ihre Wissenschaftler, die der Karriere zuliebe alles, was human ist, verraten und von „Risikogesellschaft“ faseln?

Heute, da wir wieder erfahren, daß nicht nur das „Endlager-Problem“ ungelöst – und letztlich unlösbar –  ist, sondern daß auch das Betreiben von Kernkraftwerken einem Spiel mit dem nuklearen Feuer gleichkommt, erweisen sich die Spitzenpolitiker der GRÜNEN und der SPD verräterisch still. Die führenden Gewerkschafter schweigen. Die Regierung belügt uns, „unsere“ Kernkraftwerke, welche die Mehrheit der Bevölkerung nicht will und die nicht ihr, sondern einer kleinen Zahl oligopolistischer Energiekonzerne gehören, seien „sicher“. 

Es war immer schon nationalistische Arroganz, die von den „Schrottreaktoren“ der Anderen sprechen ließ und die eigene „Hochtechnologie“ überschätzte: ob nun im jetzt so dramatisch betroffenen Japan oder in den USA oder Deutschland. Und es ist Ignoranz, die Erdbeben bei uns – auch außerhalb des Rheingrabens – kategorisch ausschließt. Statistisch kann man alle 300 Jahre in Deutschland mit einem erheblichen Erdbeben rechnen, für das die hiesigen Atomkraftwerke weit weniger sicher „ausgelegt“ sind als es die japanischen angeblich waren. Und wer sagt uns denn, daß die „300 Jahre“ nicht morgen vorüber sind? Aber auch andere „Zufälle“ können – wie die Beispiele Harrisburg und TSCHERNOBYL und die vielen Störfälle zeigen, von denen manch einer uns der Katastrophe allzu nah gebracht haben mag – als Auslöser eines „GAUs“ an die Stelle eines Erdbebens treten...

Von den Auswirkungen des zu erwartenden vielfachen „Tschernobyls“ in Japan, vom „fallout“, der nuklearen Wolke, dem Strontium 90, das in der Milch sein wird und dem Caesium, das der Regen auch bei uns in den Boden spülen wird, sodaß sich die Radioaktivität im Getreide, im Gemüse, in den Kartoffeln, im Fleisch der Tiere wiederfinden wird, seien wir „nicht betroffen“, sagt man uns von hoher Warte. Welch Aberwitz.

Sollen wir vergessen, daß der saure Regen, der sich den Kohlekraftwerken in China verdankt, mehrere tausend Kilometer weiter östlich die Wälder in Wyoming absterben läßt?

Und der Wind sollte, nachdem Atomkraftwerks-Explosionen, nachdem die Kernschmelze mehrerer Kraftwerksblöcke auf Honshu ungeheure Mengen an Radioaktivität freigesetzt hat und der nukleare Dreck in die Luft geschleudert wurde und auch hohe Luftschichten erreichen wird, nichts „zu uns“ bringen – und zu mehr oder weniger jedem Ort der nördlichen Hemisphäre?

Als der „GAU“ in  „Tschernobyl“ sich seinerzeit ereignete, stieg nicht nur die Krebsrate von Kindern und Jugendlichen im viele hundert Kilometer entfernten Nordosten Polens dramatisch an. Die ersten stark radioaktiven Regenfälle, die Schweden trafen, lösten ja damals überhaupt erst die Warnung vor der Katastrophe aus, welche die Regierung in Rußland zunächst verheimlichen wollte. 

In den Bächen und Flüssen Mittelnorwegens maß man – wie seinerzeit eine in der norwegischen Presse veröffentlichte Karte verdeutlichte –  Caesium-Werte, die enorm hoch waren. Es wurde zwingend notwendig, vor dem Verzehr von Fischen aus diesen Gewässern zu warnen. Lagen bei diesen die Caesium-Werte nicht über 2000, zum Teil sogar deutlich höher? Das Rentierfleisch und die Beeren Lapplands wurden für Jahrzehnte ungenießbar: bloß noch verzehrt von Menschen vor Ort, die angesichts ihrer Armut und Abhängigkeit von den speziellen Faktoren der Ökonomie Lapplands keine andere Wahl hatten, sowie von sträflich Uninformierten. Ein amerikanischer Wissenschaftler prophezeite, man werde in ganz Europa mindestens drei Jahrzehnte lang ohne großes gesundheitliches Risiko keine Kartoffeln mehr essen können. 

Aber an der deutsch-französischen Grenze endete – dank der Nicht-Informationspolitik der französischen Regierung – der „fall-out“, auch wenn Biobauern in der Provence sagten, den Anbau ihrer „biologisch-dynamischen“ Gewürze könnten sie dank des radioaktiven, die Böden verseuchenden Regens für lange Zeit „vergessen“.

Wie viele von uns haben das eigentlich im Gedächtnis behalten – ganz gleich, ob sie nun Befürworter oder Ablehner der Kernkraft sind?

Diese empirische Tatsache ist ja allzu offenbar: wir Menschen „vergessen“,  wir neigen dazu, zu verdrängen –  „passen uns an“. Wir mögen es nicht, permanent an so Unangenehmes wie kontinuierlich bestehende Risiken erinnert zu werden. Also nehmen wir auch die hohen Krebsraten hin und fragen meist nicht nach den Gründen.

Die Tatsache, daß die Atomindustrie, und daß militärische Tests, nur ZWEI VERURSACHER unter mehreren sind, WENN WIR SPEZIELL DIE KREBSRATEN THEMATISIEREN, kam und kommt den Verharmlosern zu pass: Unklarheit wirkt oft wie eine Nebelwand. Die Ziele berechtigter KRITIK verschwinden dahinter. Die Nebelkerze, die mit dem Ins-Spiel-Bringen des Begriffs „Risikogesellchaft“ gezündet wird, tat stets ein übriges.

Eines aber ist wohl gewiß: die Atomkraftwerke sind überall unsicher, ob in Harrisburg oder Cattenom, Grohne, Krümmel oder am Neckar.

Wir müssen lernen, unsere Bedürfnisse zu hinterfragen, das Wesentliche, Humane in den Vordergrund zu stellen, es ernst zu nehmen. Und wir werden – sofern wir endlich aufwachen und den Tatsachen ins Auge sehen -  lernen müssen, eine angeblich alternativlose „Industriegesellschaft“, die unter hohem Risiko so viel Unsinn und Unnötiges, aber höchst profitabel zu Vermarktendes energieaufwendig produziert, auf den Prüfstand zu stellen und einer Revision zu unterziehen.

Wir werden entweder zu unserer Verantwortung für die Zukunft des Planeten, für das Wasser, die Erde, die Luft, die Pflanzen und Tiere, die Welt der Menschen stehen, oder sie – und damit die zukünftigen Generationen – verraten. Anders gesagt: Wir werden versagen. Oder aber: Wir werden lernen, solidarischer zu sein mit den Entrechteten, Hungernden, mit all jenen, denen heute die Befriedigung vieler existentieller Bedürfnisse verweigert wird. Und wir werden unsere allzu irrelevanten – sich fatalen Marketing-Strategien verdankenden –  „Konsumwünsche“ auf den Prüfstand stellen.

Der Energiebedarf, der sich in der Hinwendung zur „zivilen Nutzung“ der Atomkraft ausdrückte und immer noch ausdrückt, ist auch das Resultat einer IRRATIONALEN WEISE, DIE PRODUKTION UND DEN KONSUM ZU STEUERN, wobei letzteres – in seinem manipulativen Charakter letztlich totalitär und inhuman – ganz zu Unrecht als Selbstverwirklichung, Ausdruck eines „amerikanischen Traums“, und euphorischer Triumph der „Konsumgesellschaft“ gefeiert wird.

Die falschen Wünsche sind – wie so oft – die Zwillingsgeschöpfe des Verderbens und der Katastrophen.

Wir, die normalen „einfachen Menschen“, die Bürger sind heute mehr denn je gefragt, wach zu werden, selbst zu denken, zu debattieren, und gemeinsam zu entscheiden, was not tut.

Der gesellschaftliche Wandel, der fundamentale Umbau und Neubeginn ist seit langem überfällig. 

Beginnen wir also, packen wir’s an: Setzen wir, mit dem Mittel der Wahlentscheidung und des massiv auf die Straße getragenen permanenten Bürgerprotests die sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke durch. Es wäre ein richtiger Anfang der längst notwendigen – ja überfälligen –  Wende.

13. März 2011
 
 
 

Check...:http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
 

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John C.K. Daly (Arab News Com)
Worldwide Nuclear
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Al Jazeera:  The Fukushima 
Nuclear Catastrophe Is 
Much Worse Than You Think

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Rebelion:  www.rebelion.org

Rebelion:
Fukushima mucho peor

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Three Mile Island
The American Near-Fukushima

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U.S. Nuclear Regulator Lets Industry Write Rules
(Pro Publica)

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John Raymond, "Indian Point: A Catastrophe Waiting To Happen" (Z Communications)

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