.
Schaltet sie ab!
In Japan erleben die Menschen eine nukleare Katastrophe,
welche die von Tschernobyl übertreffen wird.
Heute erfahren wir, daß die Atombehörde in
Japan jahrzehntelang Berichte über die Sicherheit der Kraftwerke gefälscht
hat.
Und während die Katastrophe ihren Lauf nimmt, läßt
die japanische Regierung die Wahrheit scheibchenweise ans Licht kommen.
Dort, wo es sich nicht mehr vermeiden läßt. Darum, weil die
Bevölkerung längst mehr weiß oder ahnt.
Auch bei uns, auch in Westeuropa, auch in den USA, hat
man immer verheimlicht und verharmlost, heruntergespielt, hat schöngeredet.
Die Atomkraftwerke waren nie sicher, die Technologie nie beherrschbar.
Man hat – seitens der Wirtschaft und der Politik – immer „auf Risiko“ gespielt.
Man ist eine Wette eingegangen, daß es schon gut gehen wird und hatte
NOTFALLPLÄNE in der Schublade, falls es zu einem „Tschernobyl“ kommt:
GAU, „größter anzunehmender Unfall“ war und ist ihr bürokratischer
Begriff dafür. Sie rechnen damit, ohne zu wissen, was es ist und wie
groß dieser „Unfall“ werden kann. In ihren Szenarios sind wir – die
Bevölkerung – nur Statisten; gerad’ so wie in den Planspielen der
Militärs und politischen „Führer“, die einen Nuklearkrieg nie
ausgeschlossen, derartige Überlegungen nie in den Schredder geschmissen
haben.
Es ist wahr: sie halten uns, die Kritiker einer inhumanen,
menschenverachtenden Weise, Menschen und ihr Leben als DISPONIBEL, als
Manövriermasse der Wirtschafts- und Militärpolitik zu sehen,
für unrealistisch, für weltfremde Idealisten.
Aber in welcher paranoiden, welcher bar jeder ethischen
Verantwortung sich solchen Strategien öffnenden „Welt“ leben diese
Meister über Leben und Tod? Und letztlich auch ihre Berater, ihre
Wissenschaftler, die der Karriere zuliebe alles, was human ist, verraten
und von „Risikogesellschaft“ faseln?
Heute, da wir wieder erfahren, daß nicht nur das
„Endlager-Problem“ ungelöst – und letztlich unlösbar –
ist, sondern daß auch das Betreiben von Kernkraftwerken einem Spiel
mit dem nuklearen Feuer gleichkommt, erweisen sich die Spitzenpolitiker
der GRÜNEN und der SPD verräterisch still. Die führenden
Gewerkschafter schweigen. Die Regierung belügt uns, „unsere“ Kernkraftwerke,
welche die Mehrheit der Bevölkerung nicht will und die nicht ihr,
sondern einer kleinen Zahl oligopolistischer Energiekonzerne gehören,
seien „sicher“.
Es war immer schon nationalistische Arroganz, die von
den „Schrottreaktoren“ der Anderen sprechen ließ und die eigene „Hochtechnologie“
überschätzte: ob nun im jetzt so dramatisch betroffenen Japan
oder in den USA oder Deutschland. Und es ist Ignoranz, die Erdbeben bei
uns – auch außerhalb des Rheingrabens – kategorisch ausschließt.
Statistisch kann man alle 300 Jahre in Deutschland mit einem erheblichen
Erdbeben rechnen, für das die hiesigen Atomkraftwerke weit weniger
sicher „ausgelegt“ sind als es die japanischen angeblich waren. Und wer
sagt uns denn, daß die „300 Jahre“ nicht morgen vorüber sind?
Aber auch andere „Zufälle“ können – wie die Beispiele Harrisburg
und TSCHERNOBYL und die vielen Störfälle zeigen, von denen manch
einer uns der Katastrophe allzu nah gebracht haben mag – als Auslöser
eines „GAUs“ an die Stelle eines Erdbebens treten...
Von den Auswirkungen des zu erwartenden vielfachen „Tschernobyls“
in Japan, vom „fallout“, der nuklearen Wolke, dem Strontium 90, das in
der Milch sein wird und dem Caesium, das der Regen auch bei uns in den
Boden spülen wird, sodaß sich die Radioaktivität im Getreide,
im Gemüse, in den Kartoffeln, im Fleisch der Tiere wiederfinden wird,
seien wir „nicht betroffen“, sagt man uns von hoher Warte. Welch Aberwitz.
Sollen wir vergessen, daß der saure Regen, der sich
den Kohlekraftwerken in China verdankt, mehrere tausend Kilometer weiter
östlich die Wälder in Wyoming absterben läßt?
Und der Wind sollte, nachdem Atomkraftwerks-Explosionen,
nachdem die Kernschmelze mehrerer Kraftwerksblöcke auf Honshu ungeheure
Mengen an Radioaktivität freigesetzt hat und der nukleare Dreck in
die Luft geschleudert wurde und auch hohe Luftschichten erreichen wird,
nichts „zu uns“ bringen – und zu mehr oder weniger jedem Ort der nördlichen
Hemisphäre?
Als der „GAU“ in „Tschernobyl“ sich seinerzeit ereignete,
stieg nicht nur die Krebsrate von Kindern und Jugendlichen im viele hundert
Kilometer entfernten Nordosten Polens dramatisch an. Die ersten stark radioaktiven
Regenfälle, die Schweden trafen, lösten ja damals überhaupt
erst die Warnung vor der Katastrophe aus, welche die Regierung in Rußland
zunächst verheimlichen wollte.
In den Bächen und Flüssen Mittelnorwegens maß
man – wie seinerzeit eine in der norwegischen Presse veröffentlichte
Karte verdeutlichte – Caesium-Werte, die enorm hoch waren. Es wurde
zwingend notwendig, vor dem Verzehr von Fischen aus diesen Gewässern
zu warnen. Lagen bei diesen die Caesium-Werte nicht über 2000, zum
Teil sogar deutlich höher? Das Rentierfleisch und die Beeren Lapplands
wurden für Jahrzehnte ungenießbar: bloß noch verzehrt
von Menschen vor Ort, die angesichts ihrer Armut und Abhängigkeit
von den speziellen Faktoren der Ökonomie Lapplands keine andere Wahl
hatten, sowie von sträflich Uninformierten. Ein amerikanischer Wissenschaftler
prophezeite, man werde in ganz Europa mindestens drei Jahrzehnte lang ohne
großes gesundheitliches Risiko keine Kartoffeln mehr essen können.
Aber an der deutsch-französischen Grenze endete –
dank der Nicht-Informationspolitik der französischen Regierung – der
„fall-out“, auch wenn Biobauern in der Provence sagten, den Anbau ihrer
„biologisch-dynamischen“ Gewürze könnten sie dank des radioaktiven,
die Böden verseuchenden Regens für lange Zeit „vergessen“.
Wie viele von uns haben das eigentlich im Gedächtnis
behalten – ganz gleich, ob sie nun Befürworter oder Ablehner der Kernkraft
sind?
Diese empirische Tatsache ist ja allzu offenbar: wir Menschen
„vergessen“, wir neigen dazu, zu verdrängen – „passen
uns an“. Wir mögen es nicht, permanent an so Unangenehmes wie kontinuierlich
bestehende Risiken erinnert zu werden. Also nehmen wir auch die hohen Krebsraten
hin und fragen meist nicht nach den Gründen.
Die Tatsache, daß die Atomindustrie, und daß
militärische Tests, nur ZWEI VERURSACHER unter mehreren sind, WENN
WIR SPEZIELL DIE KREBSRATEN THEMATISIEREN, kam und kommt den Verharmlosern
zu pass: Unklarheit wirkt oft wie eine Nebelwand. Die Ziele berechtigter
KRITIK verschwinden dahinter. Die Nebelkerze, die mit dem Ins-Spiel-Bringen
des Begriffs „Risikogesellchaft“ gezündet wird, tat stets ein übriges.
Eines aber ist wohl gewiß: die Atomkraftwerke sind
überall unsicher, ob in Harrisburg oder Cattenom, Grohne, Krümmel
oder am Neckar.
Wir müssen lernen, unsere Bedürfnisse zu hinterfragen,
das Wesentliche, Humane in den Vordergrund zu stellen, es ernst zu nehmen.
Und wir werden – sofern wir endlich aufwachen und den Tatsachen ins Auge
sehen - lernen müssen, eine angeblich alternativlose „Industriegesellschaft“,
die unter hohem Risiko so viel Unsinn und Unnötiges, aber höchst
profitabel zu Vermarktendes energieaufwendig produziert, auf den Prüfstand
zu stellen und einer Revision zu unterziehen.
Wir werden entweder zu unserer Verantwortung für
die Zukunft des Planeten, für das Wasser, die Erde, die Luft, die
Pflanzen und Tiere, die Welt der Menschen stehen, oder sie – und damit
die zukünftigen Generationen – verraten. Anders gesagt: Wir werden
versagen. Oder aber: Wir werden lernen, solidarischer zu sein mit den Entrechteten,
Hungernden, mit all jenen, denen heute die Befriedigung vieler existentieller
Bedürfnisse verweigert wird. Und wir werden unsere allzu irrelevanten
– sich fatalen Marketing-Strategien verdankenden – „Konsumwünsche“
auf den Prüfstand stellen.
Der Energiebedarf, der sich in der Hinwendung zur „zivilen
Nutzung“ der Atomkraft ausdrückte und immer noch ausdrückt, ist
auch das Resultat einer IRRATIONALEN WEISE, DIE PRODUKTION UND DEN KONSUM
ZU STEUERN, wobei letzteres – in seinem manipulativen Charakter letztlich
totalitär und inhuman – ganz zu Unrecht als Selbstverwirklichung,
Ausdruck eines „amerikanischen Traums“, und euphorischer Triumph der „Konsumgesellschaft“
gefeiert wird.
Die falschen Wünsche sind – wie so oft – die Zwillingsgeschöpfe
des Verderbens und der Katastrophen.
Wir, die normalen „einfachen Menschen“, die Bürger
sind heute mehr denn je gefragt, wach zu werden, selbst zu denken, zu debattieren,
und gemeinsam zu entscheiden, was not tut.
Der gesellschaftliche Wandel, der fundamentale Umbau und
Neubeginn ist seit langem überfällig.
Beginnen wir also, packen wir’s an: Setzen wir, mit dem
Mittel der Wahlentscheidung und des massiv auf die Straße getragenen
permanenten Bürgerprotests die sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke
durch. Es wäre ein richtiger Anfang der längst notwendigen –
ja überfälligen – Wende.
13. März 2011
Check...:http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
Check: http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
Go back to URBAN DEMOCRACY issue #
6
|